VLB Bayern Positionen

VLB-Forderungen 2022

19. November 2021
 

VLB-Berufsbildungskongress

Forderungskatalog

Allgemeine Informationen: Berufliche Schulen – und das ist das Besondere – sind primär darauf ausgerichtet, ihre Schülerinnen und Schüler so zu qualifizieren, dass sie mit den dort erworbenen Kompetenzen ihren Lebensunterhalt sichern können – selbstredend aufgefrischt durch Fort- und Weiterbildung innerhalb ihrer jeweiligen Berufsbiografie.

D. h. die beruflichen Schulen haben damit eine enorme Verantwortung.

Um es konkret zu machen: Das System der beruflichen Schulen in Bayern ist stark ausdifferenziert und reicht von den Berufsschulen über Angebote zur Berufsvorbereitung, die Berufsfachschulen, die Wirtschaftsschulen, die Fach- und Berufsoberschulen bis hin zu den Fachschulen und Fachakademien. Insgesamt werden dort über 400.000 Schülerinnen und Schüler in einer Vielzahl unterschiedlicher Bildungsgänge und beruflicher Fachrichtungen von rund 33.000 Lehrkräften unterrichtet.

Der VLB fordert:

  1. Rückgang Ausbildungsverträge
    Erste Zahlen deuten darauf hin, dass 2021 möglicherweise einen historischen Tiefstand von weit unter 500.000 bei der Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge mit sich bringen könnte. (Pressemitteilung Statistisches Bundesamt Nr. 379). Ohne Zweifel ist dies zum Teil der Pandemie-Situation geschuldet, aber eben nur zum Teil. Der langfristige Trend zeigt deutlich nach unten. Gab es im Jahr 2000 noch über 621.000 und 2010 etwa 559.000 neue Ausbildungsverträge, so waren es 2019 nur noch ca. 525.000. Auch auf einen Altersjahrgang bezogen, sinkt die Ausbildungsquote kontinuierlich und der Trend zum Studium steigt. Damit aber ist der „Markenkern“ der deutschen Berufsausbildung, die duale Ausbildung, getroffen.
     
  2. Zukunft Distanzunterricht
    Wie steht es langfristig und über die Pandemie hinaus mit dem Thema „Distanzunterricht“? Immerhin hat das Ministerium mit dem KMS sich von Ende Juli 2021 dem Thema gewidmet und den Distanzunterricht in ziemlich begrenztem Maße als reguläre Unterrichtsform ermöglicht, wenn auch mit Genehmigungsvorbehalt und auf zunächst zwei Jahre begrenzt. Speziell für die FOSBOS und die Wirtschaftsschule wurden viele Möglichkeiten des Distanzunterrichts ermöglicht.
    Der kürzlich erschienene Bericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt“ sieht hier erheblichen Handlungsbedarf und auch aus Sicht des VLB sind noch zahlreiche Aspekte näher zu betrachten – z. B. in Hinblick auf Ausstattung, Personalqualifizierung, IT-Wartung.
     
  3. Anhaltende Personalsorgen
    Bereits seit Jahrzehnten leidet das gesamte berufliche Schulwesen nahezu kontinuierlich unter gravierenden Nachwuchsproblemen. Verschiedenste Ausbildungsrichtungen sind bzw. waren betroffen, Quereinsteiger-Programme drohen zum „Normalfall“ zu werden. Der Altersdurchschnitt bei den Lehrkräften an beruflichen Schulen ist zu hoch und bis 2030 geht ein erheblicher Anteil in den Ruhestand (vgl. Klemm-Studie 2018). Mehrere berufliche Schularten können ihren Bedarf bereits jetzt fast nur noch über die Einstellung von Gymnasial-Lehrkräften sichern. Viele Schulen können bereits heute ihren minimalen Soll-Bedarf an Pflichtunterricht nicht mehr decken, ganz zu schweigen vom eigentlich notwendigen Zusatzbedarf. Auch die bereits erwähnte Enquete-Kommission nennt als einen Handlungsschwerpunkt die Rekrutierung von Lehrkräften und weiterem schulischen Personal.
     
  4. Prüfen und bewerten im DU
    Als besondere Problematik erwies sich in den vielen Monaten des Distanz- bzw. Wechselunterrichts die Frage der Leistungsbewertung. Zu begrüßen ist es daher, dass das Ministerium gemeinsam mit der Stiftung Bildungspakt einen entsprechenden Schulversuch „Prüfungskultur innovativ“ auf den Weg gebracht hat. Leider sind die beruflichen Schulen dabei bislang nicht berücksichtigt – dabei wäre gerade in diesem Bereich aus vielen Gründen eine besondere Notwendigkeit gegeben: praktische Leistungen, Lernfelder, gestreckte Prüfungen um nur einige wenige Stichwörter zu nennen.
     
  5. Problematik Sachaufwand
    Schon vor der Pandemie hatten die Schulen oft mit der geteilten Verantwortung beim Thema „Sachaufwand“ zu kämpfen. Staat und Sachaufwandsträger verwiesen z. B. jeweils auf die andere Seite und ihre Verantwortung, einige Themenkomplexe (z. B. DV-Betreuung) sind nicht hinreichend geregelt, auch das Kofinanzierungsgebot in bestimmten Bereichen bereitet mancherorts Probleme. Die verteilte Verantwortung führt letztlich auch zu hohem Verwaltungsaufwand und langen Beschaffungsprozessen. In der Summe führte dies z. B. dazu, dass zur Verfügung stehende Mittel nicht in vollem Umfang abgerufen wurden – trotz dringender Bedarfe an den Schulen (z. B. Digitalpakt oder Luftreinigungsgeräte).
     
  6. Arbeitszeit
    Alle wesentlichen Arbeitszeituntersuchungen der letzten Jahre haben schon vor der Pandemie gezeigt, dass die Arbeitszeiten der Lehrkräfte kontinuierlich gestiegen sind, während die Zahl der Pflichtunterrichtsstunden seit langer, langer Zeit nahezu konstant geblieben ist. In fast allen anderen Tätigkeitsbereichen ist die durchschnittliche Arbeitszeit in diesem Zeitraum dagegen gesunken (vgl. die Untersuchung der Max-Träger-Stiftung/Uni Göttingen, 2018). Das Maß „Pflichtunterrichtsstunden“ mit dem Korrekturfaktor Anrechnungsstunden bildet die tatsächlich aufgewendete Arbeitszeit (Unterricht, Vor- und Nachbereitung, Prüfungen, Zusatztätigkeiten, Schulentwicklungsaufgaben, Kontaktpflege usw.) immer weniger gut ab. Der von der Enquete-Kommission geforderte weitere Ausbau der Digitalkompetenz wird die durch notwendige Fortbildungen die Arbeitszeit noch weiter erhöhen.
     
  7. Zunehmende Belastung
    Neben der rein zeitlichen Belastung nimmt auch die psychische Gesamtbelastung der Kollegien an den beruflichen Schulen im Lande stetig zu: permanent hoher Fortbildungsdruck, steigender Verwaltungsaufwand, zunehmende Herausforderungen durch die Schülerschaft, Corona-bedingte Belastungen – um nur einige Beispiele zu nennen. Diejenigen Schulen, die psychische Gefährdungsbeurteilungen durchführen, vermelden teils alarmierende Ergebnisse. Der hohe Altersdurchschnitt in vielen Kollegien lässt den Rückschluss zu, dass auch altersbedingte Effekte zum Tragen kommen. Aber auch Schulleitungen, Sekretariate und sonstiges Personal arbeiten am Rande ihrer Leistungsfähigkeit.
     
  8. Dezentralere Entscheidungsprozesse / schlankere Verwaltung
    Für die Lehrkräfte, Schulleitungen und Sekretariate hat das Ausmaß an Verwaltungstätigkeiten in den letzten Jahren deutlich zugenommen, nicht nur pandemiebedingt. Ausgehend von einer verfügbaren Höchstarbeitsdauer bedeutet dies, dass für die pädagogischen Kernaufgaben und Personalführung immer weniger Zeit zur Verfügung steht. Gleichzeitig ist aus unserer Sicht eine zunehmende Zentralisierung bei Entscheidungsprozessen zu beobachten, die die gerade im ausdifferenzierten beruflichen Schulwesen dringend notwendigen Handlungsspielräume immer weiter einschränkt. In der Wirtschaft ist dagegen mit dem Konzept des agilen Managements ein gegenläufiger Trend zu beobachten.
     
  9. Entwicklungsperspektiven der einzelnen Schularten
    Nur durch eine kontinuierliche und bedarfsgerechte Anpassung und Weiterentwicklung ist das ausdifferenzierte berufliche Schulwesen in seiner Breite und Tiefe zukunftsfähig.
     
  10. Professionelle DV-Betreuung
    Die Corona-Krise mit Distanz- und Wechselunterricht hat erfreulicherweise zu einem massiven Schub bei der Digitalisierung an den beruflichen Schulen geführt und sie damit in hohem Maße zukunftsfähiger gemacht. Verbunden ist damit allerdings ebenso ein deutlich erhöhter Arbeitsaufwand für die Betreuung in Bezug auf Hardware, Software, Infrastruktur und pädagogische Belange. Dieser Aufwand ist in den allermeisten Fällen mit den bislang bestehenden Strukturen kaum noch zu stemmen. Es fehlt an ausreichender professioneller Unterstützung durch entsprechende Fachkräfte. Auch die Enquete-Kommission hebt diesen Handlungsschwerpunkt ausdrücklich hervor. Erschwerend kommt hinzu, dass Sachaufwandsträger und Freistaat sehr unterschiedliche Auffassungen haben, wer für die Kosten einer professionellen Betreuung der schulischen IT-Ausstattung aufkommen soll.
     
  11. Inklusion, individuelle Förderung und Systemdurchlässigkeit
    Seit jeher ist das berufliche Schulsystem durch große Heterogenität gekennzeichnet. Die Enquetekommission fordert für die Zukunft umfassendere Inklusionskonzepte, eine verbesserte individuelle Förderung und mehr Zusatzangebote für leistungsstarke Schülerinnen und Schüler. Zusätzlich soll auch das Potenzial Studienabbrecher besser ausgeschöpft werden. Damit kommen weitere anspruchsvolle Aufgaben auf die Schulen zu, die organisatorisch und personell bewältigt werden müssen. Zudem fehlt bei vielen Lehrkräften die notwendige Expertise (z. B. in Hinblick spezieller Förderbedarfe), was multiprofessionelle Teams notwendig macht.